Das Sokrates Renaissance-Projekt beschäftigte sich im Schuljahr 1999/2000 mit dem Thema Politik und Kunst am Beispiel von Politik und Macht.

Ausgegangen wurde von den vorhergegangenen Themen: Renaissance, Florenz, Kunst und Politik. In diesem Schuljahr, dem letzten Jahr der Stammgruppe 10.4, wurde eine Fahrt nach Italien mit einem Besuch in Florenz verbunden.

Sich mit gesellschaftspolitischen Entwicklungen zu beschäftigen setzt voraus, dass man in die Geschichte schaut. In Florenz beispw. finden wir interessante Ansätze wie Staatsmacht, Politik und Kunst miteinander verbunden werden.

Kulturgeschichtlicher Hintergrund: Thema "Macht"

Nicht nur in Florenz wurden in der Renaissance-Zeit erhebliche Mittel in die visuelle Gestaltung höfischer und staatlicher Institutionen investiert. Die staatliche Gewalt stattete sich zwecks Ausstrahlung von Macht mit Kunst aus um sich selbst als höhere Vollmacht zur Wirkung zu bringen. Es war bekannt, dass Untertanen besser über die Anschauung als durch Rede oder Schrift überzeugt werden konnten. Die Kirche hatte schon vorher dieses erfolgreich erkannt und diese Bindungskraft wurde nunmehr vom Adelsstand und deren Regenten genutzt. (In der Gotik mit ihren ästhetisierend-emotionalisierenden Wirkungen)

(vgl. auch "Der neuzeitliche Fürstenstaat verfügte über mehrere Mittel, der Fama nachzuhelfen und sich als Träger moralischer und religiöser Normen zu präsentieren: Zeitungen, Flugblätte, Lobeshymnen oder Opern und Schauspiele konnten dafür eingesetzt werden. Zu diesen Mitteln gehörten jedoch in besonderem Masse auch die bildenden Künste: sie stellten ein von den Gottesdiensten her geläufiges Medium dar, sie stellten den Sinnen eine Fiktion dauerhaft vor Augen" (Studienbegleitbriefe des Funkkolleg Kunst, Tübingen 1985, S. 68).)

Die Künste sollten die Rechtmässigkeit der Politik zeigen, sollten die sittliche Wertorientierung der Herrschen dokumentieren. Verfassungen, verschriftlichte Vereinbarungen zwischen Obrigkeit und Volk, wie sie erst seit der Französischen Revolution erreicht wurden, gab es noch nicht. Die nötigen Normen und Werte sind in Form von Verbildlichungen (Skulpturen, Ornamente, Bauformen, Bilder, Formengestaltung, Stadt- und Gebäudeanlagen ) vermittelt worden.

Wir haben hier in Bremen diese obrigkeitsorientierte Bildsprache ausführlich am Beispiel der Darstellung der Tugenden an den Rathaus-Arkaden kennengelernt und in unseren Projektergebnissen dokumentiert.

Die Kunst war vor der Renaissance eingebunden in ein religiöses Weltbild, jetzt in der Neuzeit, also seit der Renaissance, hatte sie die Aufgabe, das Herrschaftssystem mit seinen Normen und Werten zu legitimieren, zu loben, zu preisen. Damit wurde dem eigenen Volk die Richtigkeit der politischen Entscheidungen und die Überlegenheit ihrer Regenten gegenüber denen anderer Völker bewiesen.

Verbildlicht wird das zunehmende Gewicht des Politischen recht anschaulich in Siena. Im Rathaus gibt es das berühmte Fresko von Lorenzetti, das Auskunft gibt über die "gute Regierung" und die "schlechte Regierung". Hier wird diese politische Funktion von Bildern, quasi als lehrendes Leitbild deutlich. Es klingt hier an, dass man angesichts ständiger Konflikte mit dem Handel und der Machtausübung über Regelungen wirtschaftlicher Beziehungen zwischen Stadt und Land und anderen Regionen nachdachte. Das Ziel war das "allgemeine Wohl". Begündet werden sollte dies mittels Propagierung irdischer Tugenden, die Aristoteles schon für notwendig hielt, vorbildlich von der Regierung bestimmt und verwirklicht, aber noch geleitet von den himmlichen Instanzen, die dem Menschen erst im Jenseits das ihm zukommende Recht gewähren wird.

Die darstellerische Tradition, mittels Allegorien Politik zu verkörpern und visuell wirken zu lassen, wurde allmählich überwunden, weil die tatsächliche Wirkung und Reaktion beim Volk letztlich zu wenig sicher kontrollierbar war. Das Regieren verlangte in Zukunft mehr Sicherheit. Schliesslich standen die Herrschenden in ständigem Widerspruch zwischen ihrem eigenen verschwenderischen und nicht tugendhaftem Verhalten und den christlich-moralischen Werten, die sie dem Volk auferlegten.

Das richtige Regieren, also der richtige Umgang mit den Untertanen, dies wurde immer mehr eine notwendige politische Frage, zumal die Herrschenden nicht nur die Konkurrenz anderer Fürsten fürchteten, sondern auch die Verweigerung und die Revolution durch ihr eigenes, unterdrücktes Volk.

Es entwickelte sich das politische Bewußtsein nun dahin, das allmählich denkbar wurde, das Politik eine übereinstimmende Willensbildung zwischen Regierenden und Regierten sein muss. Man verstand das politische Handeln nicht mehr als eine Form der Verwirklichung übergeordneter Werte (Religion, Ethik und Moral bei Thomas von Aquin) sondern als eine "Technik des Machterwerbs, der einem durch geschickten Umgang mit anderen Menschen zufällt" (vgl. Funkkolleg Kunst, Studienbegleitbrief 7, Tübingen, 1985, Seite 64).

Wie intensiv man in der Renaissance-Zeit in norditalienischen Städten macht-technisch dachte und angesichts ständiger Bedrohung wohl auch denken mußte, ist nachzulesen in einem Studenbrief des Funkkollegs Kunst (a.a.O.): Der Florentiner Staatsmann, Politikwissenschaftler, Schriftsteller und Künstler Niccolo Machiavelli 1469-1527 entwickelte "(...) als Staatssekretär im Dienste der florentinischen Stadtrepublik die Idee vom Bürgersoldaten und schuf in Florenz eine Bürgerwehr auf der Basis allgemeiner Wehrpflicht".

Machiavelli schuf die Grundlagen, das Politische als eine eigenständige Form sozialen Handelns zu begreifen, die sog. Staatsräson. Hier eine Definition:

"Staatsräson (Staatsinteressenlehre): das Staatsinteresse oder die notwendige Staatsvernunft, im Gegensatz zur einzelmenschlichen Vernunft; seit dem 16. Jhts. oberste Maxime für politisches Handeln zur Existenzsicherung des Staats; sie läßt zu diesem Zweck Abweichungen von den im Privatleben geltenden ethischen Forderungen zu". (a.a.O. Studenbegleitbrief 7, S. 54)

Die politisch Herrschenden sind demnach von außerpolitischen Normvorgaben befreit, sie sehen ihre Aufgabe im Erhalt staatlicher Macht. Die Religionskriege des 17. Jhts. sind nunmehr im Zusammenhang mit der Herausbildung von Techniken zum Machterwerb zu verstehen. Übergeordnete Werte traten zurück zu Gunsten technisch-konzipierter Machtausübung, spricht Kriegsführung.

Machiavelli gab Empfehlungen, wie Macht auszuüben sei. Wichtig sei die Reputation, die "Fama". Doch diese politische Denkweise und Regierungstechnik erzeugte weitere Konflikte. "Ein Fürst, der nicht öffentlich zeigte, dass er sich vor Gott und der allgemeinen Moral verantwortlich wusste, hätte wohl kaum die Chance gehabt, Steuern und Abgaben, Kriegsdienste und Loyalitätsbekundungen entgegennehmen zu können. Machiavelli hatte darauf hingewiesen, dass für eine Regierung der Ruf wichtiger sei, als alles andere, dass alles "... den allgemeinen Erwartungen und Normen entsprach" (a.a.O., S. 68).

Weiter Machiavelli in "Vom Erwerb einer Herrschaft durch Verbrechen: Doch gibt es noch zwei Möglichkeiten, wie ein Privatmann zur Macht emporsteigen kann; beide kann man nicht ohne weiteres dem Glück oder der Tüchtigkeit zuschreiben. (...) Diese beiden Möglichkeiten sind folgende: man steigt durch verbrecherische und ruchlose Mittel zur Herrschaft empor, oder ein Privatmann wird durch die Gunst seiner Mitbürger Herr seines Vaterlandes." (Machiavelli - Der Fürst, Stuttgart 1972, S. 33 ff.). Machiavelli schildert dann Beispiele aus der Antike und dem derzeitigen Italien. Er gibt dann Ratschläge: "Daher muss man sich merken: Der Eroberer, der nach einer Herrschaft greift, sollte alle Gewalttaten, die er zwangsläufig begehen muss, genau überlegen und mit einem Schlag durchführen, damit er nicht jeden Tag von neuem damit anfangen muss; nur wenn er sie nicht immer von neuem begeht, kann er die Menschen beruhigen und durch Wohltaten für sich gewinnen. Wer es aus Mangel an Entschlossenheit oder aus Übelwollen anders macht, ist immer gewzungen, das Messer in der Hand zu halten; er kann sich nie auf seine Untertanen verlassen, da sich diese wegen der immer neuen und andauernden Gewalttaten nie vor ihm sicher fühlen können. Gewalttaten müssen also alle auf einmal angewandt werden, damit sie weniger gespürt werden und deshalb weniger verletzen. Wohltaten dagegen soll man nur nach und nach erweisen, damit sie besser empfungen werden."( a.a.O., Stuttgart 1972, S. 38).

Diese Aussagen ergaben doch erhebliche Nachdenklichkeit bei allen Schülern und führten dazu, einmal heutige Momente des Herrschafts- und Machtverhaltens zu erörtern.

Aktueller Bezug: Thema "Macht"

In unserem Projekt, im Fach Kunst, stellte sich bei der Auseinandersetzung mit dem Thema die Frage der Interpretation.

Machtpolitik, Machtverhalten, mächtig erscheinen, mächtig sein, sich jemandem bemächtigen... dies sind Stichworte, wie sie in Gesprächen genannt wurden. Wir alle haben, in welchen sozialen Gruppen auch immer, Erfahrungen mit uns selbst, Erfahrungen mit anderen Menschen damit gemacht. Jeder kennt Empfindungen des Machtvoll-Seins, jeder kennt das Gefühl des Bemächtigt-Werdens. Jeder hat den Mächtigen gespielt, jeder kennt sie Lage, wenn man sich ausgeliefert, unterdrückt fühlt. Es hat mit Sicherheit etwas mit Kindheitserinnerungen zu tun, also mit persönlichen aktuellen und geschehenen Erfahrungen.

Der Kunstunterricht kann hierauf eingehen und in einer ästhetischen Praxis Methoden der Verbildlichung erfahrbar machen und Schüler und Schülerinnen anleiten, solche Vorstellungen und Eigenerfahrungen gestalterisch auch kommunizierbar werden zu lassen.

Wir haben das Thema "Renaissance und Macht, Kunst und Politik etc." nach all den Studien über die Renaissance in Bremen so frei interpretiert, dass wir zu dem Entschluss kamen, unsere eigene Situation einmal zu beachten.

Als Staatsbürger, als jugendliche Rezipienten von Medien-Mächten unserer Zeit, als Junge oder Mädchen in unseren Rollen, als Kinder unserer Eltern, als Schüler unserer Lehrer - dies galt uns als reizvoll, einmal zu bedenken und gestalterisch auszudrücken. Immer liest man in den gängigen Geschichtsbüchern die Situation und die Umstände der jeweils Herrschenden, überall hat man aus dieser Sicht zu begreifen und zu lernen. Wir wollten angesichts dieses Themas einmal herausfinden, was die Interpretation dieses Themas künstlerisches zu Tage bringen wird.

Realisierung: Expressionistische Fotografie

Die Entscheidung für die Technik der Fotografie war schon lange vor diesem Projekt gefallen, nämlich als ich als Kunstlehrer ankündigte, unbedingt mit dieser Schulklasse Fotoarbeiten machen zu wollen.

Fast zeitgleich ergab es sich, dass in der Kunsthalle Bremen eine sehr erfolgreiche und populär gewordene Ausstellung existierte über die Maler des "Blauen Reiter". Dies war eine Künstler-Vereinigung kurz nach 1900, die in ihrer Kunst, sich mit der Direktheit gestalterischer Verfahren ausgedrückt hat, also es galt die Wirkung von Farbkontrasten, von Farbaufträngen und Malweisen ebensowichtig und wahrnehmbar zu gestalten wie das Motiv selbst.

Diese Erfahrung gab uns die Idee, solche Arbeiten mittels Fotokamera, Film, Labor, großformatigen Fotopapier und Kolorierungsmitteln zu probieren. Alles weitere ist in einer extra angefertigten Information-Seite nachzulesen. Sie informiert im Zusammenhang mit der Foto-Galerie über den Verlauf des Unterrichts.

Abschliessend ist zu sagen, dass die fotografische Umsetzung eine Reihe von sozialen Nebenwirkungen erzielt hat. Jugendliche waren neben dem Erlebnis von handwerklicher Neuigkeit der Fototechnik mit einem anderen Gestaltungsverfahren in der Fototechnik konkrontiert, als sie es bisher kannten. Fotos kennt jeder. Doch kennen wir Fotografie als ein schein-wirkliches Abbild von Wirklichkeit, mit all den typischen Merkmalen: Schärfe, Farbgetreue, Proportionierung, Grösse und farblicher Schönheit, Echtheit der motivlichen Darstellung.

Bei dieser Arbeitsweise mit diesen Zielsetzungen waren die SchülerInnen mit anderen fotografischen Ausdrucksmitteln konfrontiert. Sie durften sich mit ungewöhnlichen technischen Verfahren, wie Doppelbelichtungen, Montagen, Hell-Dunkel-Wirkungen, eigenartigen Verfremdungstechniken beschäftigen und hatten bei all der Arbeit immer nur die Wirkung und die visuelle Aussage im Auge. Immer nach der Frage: was hat diese Bildaussage mit "Macht" zu tun...? Fachlich fundierte und interpretierende Gespräche zwischen ihnen untereinander und dem Lehrer wurden hier ständig notwendig. Also nicht die frontale Unterrichtsform, wie sie es alltäglich kennen, war hier im Labor und in den Arbeitsräumen gefragt, sondern das selbständige Denken, Kommunizieren und handwerkliches Ausführen. Das mag jetzt ideal klingen, tatsächlich gab es jedoch zeitliche Schwierigkeiten. Die Doppelstunde in der Woche reichte natürlich nicht, um solche Arbeits- und Lernprozesse durchzuführen. Dank großzügiger Stundenplanänderungen in Kooperation mit meinem Projekt-Kollegen gab es mehr Zeit für den Kunstunterricht.

Präsentation: Internet, CD-ROM, Ausstellung

Abschliessend wurden eine Auswahl unserer Ergebnisse auf einer Ausstellung zum Thema "Blauer Reiter and er GSO" gezeigt. Dies ist auch auf der Webseite des Fachbereichs Kunst der GSO zu sehen. Diese Projektarbeiten werden dann in die Webseite des Projektes und die CD-ROM des Projektes eingearbeitet.

15. Juli 2000

Hermann Komar